Avesta X - Yasna 44

1. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Meine Sehnsucht lässt mich rufen,
und deine Güte wird mich hören.
Du weißt, was du mir bist,
so neige dich mir,
ein Freund dem Freunde,
stärke mich durch deine Wahrheit,
denn du gabst mir den Geist,
um sie zu begreifen!

2. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Wir sehnen uns nach einem Leben in Vollkommenheit
hier und hinaus über diese irdischen Tage.
Aber es fehlt uns so viel!
Wie können unsere Taten bestehen
vor der Gerechtigkeit?
Nein, ich will stille sein in dir!
Der du die Wahrheit siehst
auch des Verborgensten,
wirst uns auch heilen,
wenn uns dies Leben noch schmerzt.

3. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Wie kommt es, dass aller Wahrheit eigen
diese zeugende Kraft?
Dass die Sonne dort steht
und die Sterne zur Nacht:
entsprungenes Licht,
doch gehalten und wandelnd
in stiller Bahn.
Und der Mond in der Kammer
der schlummernden Ruhe,
ein Hand legt sich vor -
nun weicht sie zurück,
und sein Licht quillt uns zu.
Wie geschieht uns
so wunderbar!

4. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Wie ruht uns die Erde
so staunend sicher,
und darüber die Wolken,
gehoben, gehalten,
unsichtbar getragen und schwebend -
worin?
Und es perlen und blinken die Wasser,
und Blumen erblühen,
die Rosse des Windes
durchbrausen die Bahn,
und der Wagen der Wolken
rollt in den Lüften,
und wir dürfen das sehen,
unser Geist hat die Augen.
Wie geschieht uns
so wunderbar!

5. Ich frage dich, mein Gott
Gib du mir Antwort und Verstehen:
Wie erschafft sich das Licht und die Finsternis,
so schlüpfend ins Dunkel, so gleitend ins Helle?
Und der Schlaf und das Wachen,
so tauchend in Tiefen,
so steigend in Höhen?
Da wandeln grüßend
der Morgen, der Mittag, die Nacht
und heben den Finger
und warnen.

6. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Redet aus mir unmännliche Torheit,
ist diese ganze Demut ein Wahn
und alles Rufen der Seele,
ihr stilles Vertrauen?
Dass wir - woher denn?
auf blühender Erde -
warum? so gerufen, genährt und erhalten?

7. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Ohne Grenzen ist deine Macht,
wer wollte rechten mit dir!
Und dennoch, wer zwingt dich -
nur Güte!
Ja, so führt ein Vater sein Kind.
Doch nur, weil du zuerst so warst,
woher lernte er sonst!
Herr, eine Welt tut sich auf,
sichtbar wird mir Verborgenes,
und alles
kommt nur von dir!

8. Ich frage dich mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Nur deiner Stimme will ich hören,
und mein Geist
soll nur das Hallen deiner Worte sein!
Und die Wahrheit soll in mir wohnen,
sie, der Welt alleinige Wirklichkeit!
Doch ich Einsamer,
sage, wie halte ich dich?!

9. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Und wenn ich nun hinaustrete,
zitternd, aus mir,
mich als der Priester fühlend
deiner Gebote,
und deine Liebe bringen will,
ein Reich der Herrlichkeit -
wirst du auch immer
stets mir im Herzen sein?
Werde ich mich zur Wahrheit halten,
und nie im Übermut
deiner vergessen,
als gäbe es Heimat
auch ohne dich?

10. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Wenn sie auf mich hören,
woher dann die Worte?
Unter den tausend Lehren,
wo ist die beste?
Klar, ohne Umweg,
leuchtende Wahrheit,
dringend zum Guten
in Worten und Taten?
O, hier meine Sehnsucht,
mein eiferndes Denken -
dein das Vollbringen!

11. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Und wenn ich nun rede von dir,
und wenn sie nun hören,
wird es auch klingen in ihren Herzen,
und werden die Töne versinken
in deinem Liede?
Für mich ist deine Wahrheit
so überwältigend neu,
und ich hasse das Frühere!
Aber da warst du doch auch?!

12. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Wo ist nun der Weg?
Dort oder hier?
Was ich jetzt hasse,
war mir einst lieb;
ach, was ich jetzt liebe,
kann ich einst hassen!
O, wie ist meine Seele
auf stürmendem Meer!

13. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Wo ist ein Halt in diesem Ringen?
Und so gequält
in eigenem Kampfe,
wie sollen wir wehren
den anderen,
denen ein Spott
unsere marternde Sehnsucht,
und die so satt,
weil sie nie dich verlangten?

14. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Mit diesen Händen
möcht' ich sie fassen,
die sich verkriechen
in finsteren Dünkel,
dass sie, gehalten
ins Licht deiner Wahrheit, schwinden zu Nichts,
diese gähnenden Schatten.

15. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Was ich nun tief im Herzen trage,
bin ich damit bei dir?
Lautlos zum Kampf
rücken an die zwei Heere;
geisternde Schlacht,
so ist es dein Wille!
Herr, schaffst du Sieg
meinen flatternden Fahnen?

16. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Doch was heißt Sieg,
was Unterliegen!
Es fiel schon der Würfel,
nur wer in dir ist,
der lebt!
Wem du es gabst,
der ist gut
und geht deine Wege,
ein jegliches Wesen.

17. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Ja, hier ist meine Sehnsucht
nach Ruhe in dir.
Hier rede ich eifernd
werbende Worte
und jage nach Zielen.
Aber ewig und immer
weißt du es schon,
ob ich vollendet bin
oder nicht.

18. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Was kann ich tun,
was du nicht schon weißt?
Soll ich zehn Stuten opfern
mit dem Hengst und ein Kamel?
Ich - dir?!
Wie? Um dafür Unsterblichkeit zu erhalten
und ewige Vollkommenheit?

19. Ich frage dich, mein Gott,
gib du mir Antwort und Verstehen:
Wer sich nicht erbarmt des Bedürftigen
und seine Menschenpflicht versäumt,
an dem ist zu sehen,
dass er dich nie gekannt,
und verloren war er,
bevor er es wird!
Wo ist denn euer Glück,
die ihr es suchet
nur in der Zeit?
Euch frage ich, die ihr euer Heil
Priestern und Fürsten vertraut!
Nun ist die Erde ihre Beute!
Gab Gott ihr Segen,
nur darum zu blühen?

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