Tugenden - 16. Oktober 2015

Im Buddhismus werden sechs oder zehn zu übende Tugenden aufgezählt, die zur Erleuchtung führen. Bleiben wir einmal bei den sechs Tugenden des Theravada. Die ersten fünf sind AP-Tugenden, die geübt und stufenweise erlernt werden können. Es sind Freigiebigkeit/Großzügigkeit, ethische Integrität, Geduld/Akzeptierfähigkeit, Enthusiasmus/energisches Bemühen und Meditation. Die sechste Tugend ist Weisheit/Erkenntnis. Sie kann wohl ebenfalls stufenweise erlangt werden, ist aber nicht übbar, sondern entsteht als Produkt der ersten fünf Tugenden und anderer Aspekte.

Herr von Allmen zitiert in einer seiner Lehrreden einen Krishnamurti (nicht Jiddu, vielleicht U. G.), der gesagt haben soll, dass Erleuchtung ein Unfall sei und nicht das Resultat von Meditation - das aber Meditation die Anfälligkeit für diese Art Unfall erhöhe. So müssen wir auch das Erlangen von Weisheit durch die ersten fünf Tugenden sehen.

Denken wir bei den Tugenden auch an die "nahen und fernen Feinde". Der ferne Feind ist natürlich immer das Gegenteil. Also zum Beispiel von Geduld eben Ungeduld.

Das Gegenteil von Freigiebigkeit ist natürlich Knauserigkeit, Geiz. Interessanterweise nicht nur gegenüber anderen Wesen/Leuten, sondern auch sich selbst gegenüber. Aber was wäre der nahe Feind von Freigiebigkeit? Gedankenlose Verschwendung, zwanghaftes Kaufen, Konsumrausch. Dann natürlich wie alle nahen Feinde womöglich immer gern unter dem Deckmäntelchen der Tugend.

Wie und wo sich einer in Bezug auf die Tugenden befindet, muss jeder für sich herausfinden. Interessanterweise können Außenstehenden die Tatsachen oft offensichtlich sein, wo man selbst völlig blind scheint und selbst bei deutlichen Hinweisen immer wieder in diese Blindheit hineinrutscht, wenn man nicht sowieso einfach mit Abwehr reagiert.

Wir haben hier wieder so einen für den logischen, linearen Verstand schwer auszuhaltenden rückbezüglichen Mechanismus, bei dem scheinbar das Endergebnis gebraucht wird, um die Vorbedingungen optimal zu erfüllen, denn für die optimale Ausführung der ersten fünf Tugenden braucht man umfassendes Unterscheidungsvermögen sich selbst gegenüber. Und Unterscheidungsvermögen ist ein Ausdruck von Weisheit.

Wir wissen natürlich, dass einfach in allen Bereichen Weg-Arbeit erforderlich ist - wie es ja schon oben anklingt. Die einzelnen Verwirklichungsniveaus können überall unterschiedlich sein. Das ist schon innerhalb einer Person schwer durchschaubar. Vergleiche können wir uns erst recht abschminken.

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Kommentare: 1
  • #1

    Rudi (Sonntag, 10 Mai 2020 20:48)

    "bei dem scheinbar das Endergebnis gebraucht wird, um die Vorbedingungen optimal zu erfüllen, denn für die optimale Ausführung der ersten fünf Tugenden braucht man umfassendes Unterscheidungsvermögen sich selbst gegenüber"
    Spannende Frage. Die eigene Perspektive ist dabei auch interessant. Da liegen schnell teilweise sehr erschwerende Muster begraben. Eine Frage zur eigenen Vorstellung wäre zum Beispiel: Was ist in meiner Vorstellung das Endergebnis? Ist es ein hoher kaum erreichbarer Zustand? Ist es ein natürlicher Zustand? Ist es weit entfernt?
    Das eigene Bild von dem Weg selbst könnte man auch hinterfragen. Ist der Weg schwer? Ist er weit oder fast unüberwindbar? Was Bedarf es alles für den Weg?

    Wer oder was hat Interesse daran, dass wir diese Muster übernehmen, die uns den Weg schwer und das Ziel kaum erreichbar erscheinen lassen?
    Leichtfertigkeit ist sicher genauso wenig angebracht. Es bleibt ein Balanceakt mit ständig erneuerter Ausrichtung und Hinterfragen eigener Vorstellungen, Bilder und Muster.