Apophthegmata Patrum 1060

Ein Einsiedler wohnte in einer Höhle neben einem Kloster und übte dort viele Tugenden. Als einmal einige Mönche aus dem Kloster gekommen waren, nötigten sie ihn zu essen, und zwar zu einer sonst ungewohnten Stunde.

 

Nach der Mahlzeit fragten ihn die Brüder: "Bist du betrübt, Vater, dass du heute etwas gegen deine Gewohnheit getan hast?"

 

Er antwortete ihnen: "Es schmerzt mich, wenn ich den eigenen Willen getan habe."

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Kommentare: 3
  • #1

    Linda (Dienstag, 17 Dezember 2019 06:07)

    Da könnte ich Erläuterungen gebrauchen.....

  • #2

    Clemens (Dienstag, 17 Dezember 2019 10:27)

    Mir stellt sich das so dar:

    Der Mann übte verschiedene Tugenden. Eine Übung hatte offensichtlich mit dem Essen zu tun. Vielleicht "intervallfastete" er, vielleicht enthielt er sich an bestimmten Tagen ganz der Nahrung.

    Jedenfalls bekam er zu einem Zeitpunkt Besuch, an dem er normalerweise nichts gegessen hätte. Die Besucher drängten ihn: "Komm, lass uns doch nicht alleine essen!" Oder: "Wie können wir etwas essen, wenn du nicht mitisst?"

    Jedenfalls aß der Einsiedler mit. Möglicherweise - sagen wir: vordergründig wahrscheinlich - aus Höflichkeit.

    Scheinbar wirkte er dabei etwas zerknirscht. So fragten ihn seine Besucher: "Bist du betrübt, Vater, dass du heute etwas gegen deine Gewohnheit getan hast?"

    Das war naheliegend. Allerdings ist es so mit den Gewohnheiten: Sie sind durchaus eine Stütze bei der Einübung sinnvoller Verhaltensweisen, aber der Asket (der Übende) sollte nicht zum Sklaven der Gewohnheit werden, da sonst keinerlei Verdienst mehr in seinem Tun läge ("Verdienst" sollte allerdings auch nicht in Vordergrund stehen!) und er vor allem unfrei geworden wäre.

    Ein freier Asket kann seine Askese aus der Notwendigkeit heraus jederzeit beenden!

    Unseren Asketen trieb aber etwas anderes zu seinem sauertöpfischen Gesichtsausdruck. Er sagte: "Es schmerzt mich, wenn ich den eigenen Willen getan habe."

    Über die Freiheit des Asketen wusste er Bescheid. Er war sich allerdings unsicher, ob er möglicherweise diese Freiheit nur vorgeschoben genutzt hatte, um dem AP-Impuls nachzugeben, außerhalb der Zeit eine Mahlzeit einzunehmen. Diese Unsicherheit über seine eigene Motivation war es, die ihn schmerzte, bzw. schmerzte ihn die Vorstellung, durch eine Hintertür der AP nachgegeben zu haben.

    Schlauer, ehrlicher Mann, unser Asket. Bestenfalls könnte man sagen, dass er dieses Problem mit sich selbst hätte ausmachen sollen, ohne "es raushängen zu lassen". Vielleicht nutzte er aber auch seine Geschicktheit der Mittel, um seinen Mönchsbesuchern eine Belehrung zu geben.

  • #3

    Linda (Mittwoch, 18 Dezember 2019 07:00)

    Ah, einleuchtend, vielen Dank!
    Ist ja auch wirklich nicht einfach zu wissen, ob die AP uns übers Ohr haut....