Schweigen III (von Ruth Finder)

Abbas Poimen sprach wiederum: „Da ist ein Mensch, der scheint zu schweigen, aber sein Herz verurteilt andere. Ein solcher redet in Wirklichkeit ununterbrochen. Und da ist ein anderer, der redet von der Frühe bis zum Abend, und doch bewahrt er das Schweigen, das heißt, er redet nichts Nutzloses.

(Apophthegmata Patrum 601)

Zu dem im Fettkursiv stehenden Teil habe ich eine schöne chassidische Erzählung:

Verborgenheit

Rabbi Jechiel Meir von Gostynin war einmal zusammen mit Rabbi Chanoch von Alexander auf einer Hochzeit und teilte mit ihm ein Gästezimmer. Am Hochzeitabend ließ Rabbi Chanoch sich als Spaßmacher sehen und hören - was ihn in des Gefährten Achtung nicht gerade erhob.

In der Nacht aber merkte Jechiel Meir, wie Chanoch leise aufstand und, sich unbeobachtet wähnend, in den Vorraum begab. Jechiel Meir horchte hin. Er hörte ein Flüstern, das ihm ans Mark griff. Wie noch nie gehört, drangen ihm die geflüsterten Psalmenversen ans Ohr. Als Chanoch zurückkam, stellte Jechiel Meir sich schlafend.

Am nächsten Tag ließ der Rabbi Chanoch wieder alle seine Künste spielen. Er erzählte die lustigen Streiche eines Diebes mit solcher Anschaulichkeit, dass die gesamte Hochzeitgesellschaft sich vor Lachen am Boden wälzte.

Verwirrt starrte Rabbi Jechiel Meir ihn an: war das derselbe Mann, dessen Andacht er nachts vorher belauscht hatte? Da warf jener, mitten im wildesten Scherz, den Kopf herum und blickte ihm in die Augen. Was Jechiel Meir in der Nacht gehört hatte, eben das sah er nun vor sich, und es war an ihn gerichtet. Er erbebte.

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