Meditation - Mittel zur geistigen Befreiung II

Viele Menschen kämpfen um politische Freiheit und sind sogar bereit, ihr Leben für dieses Ziel zu opfern. Und es ist wahr, dass politische Freiheit überaus notwendig ist. Aber wenn wir geistig versklavt sind, dann wird auch die politische Freiheit wertlos. Um geistige Freiheit zu erreichen, braucht man nicht gegen irgend jemanden zu kämpfen. Der Kampf soll vielmehr dort ausgetragen werden, wo es um das eigene Anhaften an falsche Vorstellungen geht. Der Ort, an welchem der Kampf geführt wird, liegt also in einem selbst. Und wir können dann geistige Freiheit erringen, wenn wir in der Lage sind, den aktiven Geist zu einem willigen Diener unter unserem Kommando zu machen. Hierzu müssen wir keinen Krieg außerhalb von uns selbst führen. Es ist nur notwendig, entschlossen gegen die eigenen unklaren Vorstellungen und Antriebe anzugehen. Dies ist in erster Linie eine innere Angelegenheit, keine äußere. Der Geist eines Menschen, der sich von falschen Vorstellungen befreit hat, ist durchdringend und voller Erkenntnisfähigkeit. Diese Weisheit, die die Dinge so sieht wie sie wirklich sind, heißt "Klarblick" (vipassana). Sie ist ruhig, still und frei von Hindernissen, frei von Verwirrung. Befreiung bedeutet, diese Einsicht zu besitzen.

Solange wir unseren Geist von jenen Kräften, die uns ein verzerrtes Bild von der Welt vermitteln, noch nicht befreit haben, sind wir nicht in der Lage, den Lebensprozess so zu sehen, wie er ist. Wir brauchen eine tiefe, wirklichkeitsgemäße Einsicht in die Vorgänge des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens und natürlich auch in den Ablauf des geistigen Wahrnehmens, durch den solche Objekte wie Gedanken oder Vorstellungen erfasst werden. Denn aus diesen sechs Bewusstwerdevorgängen besteht unser Leben, darin spielt es sich ab. Verschiedene Formen des Anhaftens und eine ganze Reihe von Vorurteilen halten uns jedoch von einer realistischen Sicht der Dinge ab, wie zum Beispiel unser Hängen an Traditionen. Obwohl einige der traditionellen Sitten und Verhaltensweisen nicht mehr zeitgemäß sind, denken viele Menschen, dass diese alten Normen bewahrt werden müssten, weil sie ein Teil der eigenen Überlieferung sind. Hier können wir erkennen, wie weit unsere Einstellungen und Verhaltensweisen durch das Haften an Traditionen und Gewohnheiten gefesselt sind. Ein versklavter Geist ist so trübe und dunkel, dass die Strahlen des Lichtes, welche die Dinge so erscheinen lässt, wie sie tatsächlich sind, ihn nicht erreichen. Wir müssen uns deshalb von allen Dogmen und falschen Vorstellungen frei machen.

Es gibt eine große Anzahl von Fehlhaltungen, die die Freiheit des menschlichen Geistes erschüttern und ihn gefangen halten. Eine von ihnen ist die Angst, die aus den Tiefen des menschlichen Bewusstseins kommt. Die Angst beeinflusst unser Denken und Fühlen, und die von ihr geprägten geistigen Haltungen (wie zum Beispiel das Sicherheitsdenken) binden uns an Traditionen, Sitten, Gewohnheiten und Rituale, manchmal sogar gegen unsere eigene bessere Einsicht in die wirkliche Natur des Daseins.

Um unser Denken, das durch die verschiedenen Formen von Dogma und Spekulation gefangen gehalten wird, zu befreien, müssen wir den Weg geistiger Übungen beschreiten, welcher ein genaues Kennenlernen unserer eigen psychischen Phänomene beinhaltet. Dabei sollen wir durch wiederholtes Üben lernen, mit unseren Geisteszuständen und Emotionen bekannter zu werden und mit ihnen in der rechten Weise umzugehen. Diese Arbeit an uns selbst wird als Geistesentfaltung oder Meditation (bhavana) bezeichnet. Man könnte meinen, dass Meditation "denken" bedeutet, "spekulieren" oder "Konzentration des Geistes", individuell oder kollektiv. So verhält es sich je doch nicht. Denn das Denken ist eine Sache und die Meditation eine andere. Die wirkliche Geistesentfaltung besteht im Üben von Achtsamkeit und Bewusstseinsklarheit in Bezug auf das, was sich gegenwärtig ereignet. Wir lernen dabei mit den eigenen körperlichen und geistigen Aktionen und Reaktionen so umzugehen, dass sie nicht ohne unsere bewusste Hinwendung in Erscheinung treten können. Das Ergebnis einer so betriebenen Geistesentfaltung ist geistige Freiheit.

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