Meditation - Mittel zur geistigen Befreiung I

Aturugirye Sri Gnanawimala Maha Thero
Gewidmet Dr. Paul Dahlke (1865-1928)


1. Meditation - Mittel zur geistigen Befreiung

Der Ausdruck "geistige Freiheit", der eine tiefe Bedeutung hat, steht in einem gewissen Zusammenhang mit den Begriffen "Muße" oder "Abgeschiedenheit". Stellen wir uns vor, jemand trennt sich für kurze Zeit von den Menschen, mit welchen er normalerweise zusammenlebt, und verweilt irgendwo ohne die geringste Beschäftigung. Manche gehen auf der Suche nach "Muße" an besondere Plätze. Sie essen, trinken und amüsieren sich; aber das ist keine "Muße", denn solche Menschen folgen nur einem anderen Programm von Aktivitäten, nachdem sie die früher praktizierte Routine abgelegt haben. Diese Art von Veränderung der eigenen Lebensweise ist dem Verhalten jenes Mannes ähnlich, der Alkohol oder Salzwasser trinkt, um seinen Durst zu löschen. Wirkliche "Muße" jedoch besteht in einem bestimmten Zustand des Geistes.

Was ist nun der "Geist"? Wir sollten hier eine genaue und klare Vorstellung von dem gewinnen, was wir als "Geist" bezeichnen. Gemäß der Lehre des Buddha wird ein Lebewesen durch das Zusammenwirken psychischer und physischer Erscheinungen gebildet, die den fünf Bereichen (khanda) Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, geistige Gestaltung und Bewußtsein angehören. Die letzten vier, also Gefühl, Wahrnehmung, geistige Gestaltung und Bewusstsein, können als Einheit unter der Bezeichnung "Geist" zusammengefasst werden. Hierunter dürfen wir jedoch nichts Substantielles, Bleibendes verstehen, da es sich um einen Prozess handelt, der unaufhörlichen Veränderungen unterliegt.

Zum Zwecke unserer Untersuchung kann zwischen aktivem und passivem "Geist" unterschieden werden. Der aktive "Geist" ist gekennzeichnet durch das Zusammenspiel von Empfindungen, Wahrnehmungen und geistigen Gestaltungen. Die Aktivität setzt in dem Moment ein, wenn Sinnesorgan, Sinnesobjekt und Bewusstsein zusammenwirken, so dass ein Wahrnehmungsvorgang entsteht. Nehmen wir zum Beispiel das Hören, das in dem Moment einsetzt, wenn ein Ton an unser Trommelfell gelangt und dabei auch das Bewusstsein zugegen ist. Gleich von Anfang an ist dieser Hörvorgang gefühlsmäßig beeinflusst. Der gehörte Ton wird als ein bestimmtes Objekt mit diesen oder jenen Eigenschaften ausgemacht, was wir Wahrnehmung nennen. Schließlich ordnen wir das Gehörte in unser Weltbild ein und reagieren darauf - in der Regel mit Zu- oder Abneigung. Das ist geistiges Gestalten. Ausgehend von jenem Augenblick, in dem sich bedingt durch das Zusammenwirken von Sinnesorgan, Sinnesobjekt und Bewusstsein ein wenn auch noch so schwaches Gefühl in uns erhebt, haben wir eine stetige Zunahme von geistiger Aktivität innerhalb des Wahrnehmungsvorganges zu verzeichnen. Als passiver "Geist" wird demgegenüber jener Zustand bezeichnet, der bei Bewusstlosigkeit oder im Tiefschlaf vorherrscht.

Die wahre Muße, nun, ist mit dem aktiven Geist verknüpft, in welchem Gefühle, Wahrnehmungen und geistige Gestaltungen zugegen sind. Muße, wie wir sie verstehen, darf nicht einfach eine andere Form gewöhnlicher Aktivitäten oder ein Ersatz für diese sein, sie darf nicht etwa nur ein neuer Weg sein, auf dem man den gewohnten Methoden sinnlicher Befriedigung Genüge tut. Jene Beschaffenheit des Geistes, die wirkliche Muße beinhaltet, nennt man "geistige Ruhe". Der Ausdruck "geistige Freiheit" umfasst jedoch eine noch tiefere Bedeutung als "geistige Ruhe".

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Kommentare: 1
  • #1

    Clemens (Samstag, 06 Juli 2019 17:08)

    Diesen Text werde ich mal in einigen Fortsetzungen einstellen. Lesenswert.