Yoga-Sutra Abschnitt 14

III,35 Im Herzen liegt das Wissen um das Bewusstsein.

III,36 Sogar der reine Wesenskern des Bewusstseins ist absolut getrennt vom eigentlichen
Selbst; Welt - Erleben basiert auf der Vorstellung, sie seien identisch; erst durch
meditative Versenkung über den Zweck des einen und den Sinn des anderen kommt man
zum Wissen um das Selbst.
III,37 Daraus ergeben sich plötzliche Erleuchtungen im Bereich des Hörens, Fühlens, Sehens,
Schmeckens und des Riechens.
III,38 Nach außen sind dies außergewöhnliche Wahrnehmungsfähigkeiten, dem Zustand des
Einsseins sind sie jedoch hinderlich.

III,39 Gelingt es dem Bewusstsein, den Grund für die Bindung an den Körper zu lockern und
diese zu lösen, kann es in einen anderen Körper eintreten.
III,40 Durch Meisterung des aufsteigenden Atems wird es möglich, sich aus Wasser, Schlamm
und Dornen zu lösen und zu erheben.
III,41 Der Meisterung des mittleren Atems folgt der Zustand leuchtender Verklärung.
III,42 Durch meditative Versenkung über die Beziehung zwischen Ohr und Raum gewinnt man
überirdisches Gehör.
III,43 Durch Versenkung über die Beziehung zwischen Körper und Raum gelingt es, die
Leichtigkeit von z.B. Baumwolle zu verinnerlichen und den Raum zu durchqueren.
III,44 Es gibt einen Bewusstseinszustand, der nicht an einen Körper oder eine Form gebunden
ist; als Folge dessen schwindet der Schleier vor dem inneren Licht.

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Kommentare: 8
  • #1

    Jonas (Mittwoch, 17 April 2019 13:45)

    "Sogar der reine Wesenskern des Bewusstseins ist absolut getrennt vom eigentlichen
    Selbst;"
    Die Aussage scheint mir wert, hinterfragt zu werden. Denn unser Bewusstsein ist ja der Raum, in dem sich Gefühle, Gedanken, Sinneswahrnehmungen abspielen. Oder in einem anderen Bild ausgedrückt die (weiße, leere) Leinwand, auf der die Bilder/Eindrücke entstehen und wieder vergehen.

    Bislang hätte ich Bewusstsein als etwas mir SELBST Zugehöriges empfunden, als das Vehikel oder jenen Teil von meinem Selbst, der das Leben in den Welten der Trennung erst erlebbar macht. Das geht natürlich nur über unsere AP, die die Sinneseindrücke (Gefühle, Gedanken...) liefert, die im Bewusstsein aufscheinen und in gewisser Weise verarbeitet werden.

    Dass jetzt sogar der "reine Wesenskern des Bewusstsein absolut(!) getrennt vom eigentlichen Selbst" sein soll, würde meinem Empfinden widersprechen.

    Das könnte man auch aus der spirituellen Literatur so herauslesen. Angelus Silesius beispielsweise drückt es ja im cherubinischen Wandersmann immer wieder in unterschiedlicher Form aus: Das allumfassende Selbst blickt über unser Höheres Selbst in die Welten der Trennung durch unser Bewusstsein, Gott erlebt sich durch uns in sich selbst. Wir sind - sozusagen- die Augen und Ohren Gottes in den Welten der Trennung. Durch uns/unser Bewusstsein kann ER sich an seiner Schöpfung erfreuen.

    Mir scheint es daher eher so zu sein, dass es eine durchgehende Kette/Verknüpfung vom allumfassenden SELBST bis hin zur AP gibt. Eine absolute Trennung des SELBST vom Bewusstsein ist für mich nicht nachvollziehbar.

    Was meint ihr?

  • #2

    Clemens (Mittwoch, 17 April 2019)

    Wenn wir eine andere Übersetzung von III, 36 (unten in einer durchgehenden Zählung 141) sehen, dann sehen die Dinge gleich etwas anders aus:

    "Die Welterfahrung ist ein Erleben, das nicht unterscheidet zwischen der
    reinen psycho-physischen Natur und dem ‚inneren Menschen‘,
    die völlig unvermischt sind. Diese Welterfahrung bezieht sich auf einen anderen
    (den ‚inneren Menschen‘). Wendet man die Sammlung auf das in sich selbst
    Gründende hin, so erkennt man den ‚inneren Menschen‘."

    Aber beim Ursprungstext bleibend ist die Diskussion schon interessant.

  • #3

    Simon (Donnerstag, 18 April 2019 00:39)

    Vermutlich wird Bewusstsein in der Yoga Sutra als ein Aspekt des Dualen gesehen.
    Das Selbst betrachtet das Bewusstsein, das Bewusstsein kann das Selbst aber nicht betrachten bzw. erfassen, so verstehe ich auch den von Jonas genannten Raum eher als Selbst, während das Bewusstsein den Raum füllt.
    Ob das Selbst dadurch sich selbst bewusst wird oder dies gar nicht benötigt, keine Ahnung.
    Erlangt Gott durch uns Bewusstsein. Lustige Frage.

    Ich steig da aber „Selbst“ noch nicht durch. ^^

    Bewusstsein und Bewusstsein können in ihrer Bedeutung je nach Kontext stark variieren.
    Die AP hat keins, Das HS könnte eins haben, ob das Selbst eins hat bzw. überhaupt benötigt, wissen wir nicht, oder?
    Vielleicht ist der Begriff „Bewusstsein“ einfach unzureichend ist für das Selbst?
    Wie jetzt...AP-HS-WS(Wahres Selbst) oder was?

    Vielleicht ist das aber lediglich ein Hinweis, Karbid und Wasser nicht zusammen zu mischen, weil es einem sonst um die Ohren fliegen kann.
    Manche Dinge sind am besten getrennt voneinander zu betrachten, auch wenn sie letztendlich eins sind.

  • #4

    Jonas (Donnerstag, 18 April 2019 10:48)

    Ja Simon, es ist sicherlich eine Frage der Definition bzw. des Kontextes.
    Wenn man Bewusstsein so sieht, dass es nur dazu da ist, das Empfangen von Eindrücken/Gefühlen und Gedanken zu ermöglichen, dann würden wir es außerhalb der Welten der Getrenntheit (physische, psychische und noetische Welt) eigentlich nicht mehr benötigen. Denn wenn wir alle drei Körper abgelegt haben und vollständig exkarniert sind, hätte es so gesehen keine Funktion mehr.

    Da es uns als Ego-Selbst dann immer noch gibt - wovon ich einmal ausgehe - , könnte man Bewusstsein tatsächlich als dem inneren Menschen nicht zugehörig , ja sogar getrennt bzw. abtrennbar davon sehen.

    Aber letztlich bleibt das alles pure Spekulation. Was mich aber persönlich interessiert hätte wäre, wie ihr es persönlich EMPFINDET, falls die Frage nicht zu persönlich ist.
    Ich empfinde Bewusstsein nämlich nicht als ein Vehikel, das ich benutze, wie etwa meinen physischen Körper, ich empfinde Bewusstsein als echten Teil von mir.

  • #5

    Simon (Donnerstag, 18 April 2019 10:56)

    Das Sein des Nichts

    Dreißig Speichen treffen die Nabe,
    die Leere dazwischen macht das Rad.

    Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen,
    die Leere darinnen macht das Gefäß.

    Fenster und Türen bricht man in Mauern,
    die Leere damitten macht die Behausung.

    Das Sichtbare bildet die Form eines Werkes,
    das Nicht-Sichtbare macht seinen Wert aus.

    (Lao-Tse)

    ...bei diesem Zitat empfinde ich es als passend, die Leere oder das Nicht-Sichtbare mit dem (W)Selbst zu vergleichen, während ersteres dem Bewusstsein zugeordnet werden kann.
    Scheinbar (absolut) getrennt bilden sie doch eine Einheit.

    Getrennte Einheit, ein Oxymoron.
    Lässt sich intellektuell nicht knacken.

  • #6

    Simon (Donnerstag, 18 April 2019 11:43)

    Deine Frage Jonas, kann vermutlich nur unzureichend beantwortet werden, aber um es kurz zu machen, ich empfinde Bewusstsein auch als echten Teil von mir, aber halt nur soweit, wie mein Bewusstsein dafür ausreicht.

    Vielleicht ist es hilfreich, das leichte Unwohlsein zu beobachten, was einen wahrscheinlich bei dem Gedanken begleitet: Was oder wer bin ich ohne Bewusstsein?
    Im klinischen Sinne, wohl nichts weiter als ein Organspender. ^^
    Auf jeden Fall steckt mehr dahinter und es macht allemal große Freude, darüber nachzudenken, zu meditieren oder was auch immer.

  • #7

    Jonas (Donnerstag, 18 April 2019 13:24)

    "..bei diesem Zitat empfinde ich es als passend, die Leere oder das Nicht-Sichtbare mit dem (W)Selbst zu vergleichen, während ersteres dem Bewusstsein zugeordnet werden kann.
    Scheinbar (absolut) getrennt bilden sie doch eine Einheit."

    Moin Simon, das bringt es schon sehr auf den Punkt - da kann ich gut mit.

    Dazu vielleicht noch eine Ergänzung zum Groken:

    (w)selbst = Gott Vater
    Bewusstsein = Hl. Geist
    Gewahrsein = Christus Logos

  • #8

    Simon (Donnerstag, 18 April 2019 21:41)

    Da bekommt der Spruch:
    "Hilf dir SELBST, dann hilft dir Gott", eine ganz andere Bedeutung.