Treulose Zyniker (Kabîr)

...waren zu Kabîrs Zeiten scheinbar verbreitet. Jedenfalls warnt er mehrfach vor ihnen. Den (treulosen) Zyniker als Knoblauchzehe hatten wir ja schon, aber es gibt noch mehr:

 

Kabîr: warum Weinen wenn ein Heiliger stirbt? Er geht nur zurück nach seinem Zuhause.
Weine um den armen Teufel, den treulosen Zyniker,

der von einem Laden zum anderen verkauft wird.

 

Kabîr: lebe mit den heiligen Menschen, die Dich letztlich mit ins Nirvana nehmen.
Lebe nicht mit den treulosen Zynikern, sie führen Dich zum Ruin.

 

Richtige Klarheit darüber, was Kabîr mit treulosen Zynikern gemeint haben könnte, gibt es doch sicher nicht bei allen, oder? Was also wäre ein treuloser Zyniker? Bzw. was wäre Treulosigkeit und was wäre ein Zyniker? Oder wäre ein Zyniker okay, wenn er nicht treulos wäre? ^^

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Kommentare: 6
  • #1

    R.G. (Montag, 29 Oktober 2018 20:21)

    Wikipedia:
    Kyniker war dementsprechend eine „Bezeichnung für einen Anhänger der von Antisthenes gegründeten Philosophenschule, deren Ziel die Rückkehr zum Naturzustand und zu einem bedürfnislosen Leben ohne Ansprüche ist“.

    Mit einem treulosen Zyniker könnte dann ein Mensch gemeint sein, der Wasser predigt aber selbst Wein trinkt. Vielleicht gemünzt auf Religion.

  • #2

    Clemens (Dienstag, 30 Oktober 2018 02:02)

    Überzeugend runder Ansatz, R.G. Ich hatte für mich vom klassisch philosophischen Blickwinkel abgesehen und war von der gegenwärtigen Bedeutung von Zynismus ausgegangen. Habe da mal im Netz geschaut und finde dies zur Begriffsbestimmung:

    https://blog.supertext.ch/2017/02/ironie-sarkasmus-zynismus-was-ist-der-unterschied/
    Klasse dabei nebenbei die beiden zynischen Zitate:

    «Glück ist, wenn das Pech die anderen trifft.» Horaz

    «Wenn dein Gewissen rein bleiben soll, darfst du es nicht benutzen.» Otto von Bismarck

    So gesehen kann der treulose Zyniker nur der ins Treulose GESTEIGERTE Zyniker sein. Der Begriff Treulosigkeit hingegen ist für mich auch zweischneidig. Synonyme im weiteren Sinne sind: Unaufrichtigkeit, Ehrlosigkeit, falsche Aussage, Gleisnerei, Illoyalität, Lippenbekenntnis, Perfidie, Scheinheiligkeit, Unehrlichkeit, Untreue, Verstellung, Vortäuschung.

    Das zweischneidige daran ist für mich die Treulosigkeit als VORWURF. Da werden nämlich oft gerade unlautere Verhaltensweisen eingefordert. Mauschelei, Filz, Sippenwirtschaft etc. sind solche Zusammenhänge. Da finde ich das, was Treulosigkeit geschimpft wird, tendenziell eher positiv.

    Bleiben wir aber bei der negativen Bedeutung, dann ist ein treuloser Zyniker (also "der ins Treulose gesteigerte Zyniker") schon eine ziemliche Kackbratze. Erstmal denkt man, dass es davon sooo viele ja nicht gibt. Wenn man Kabîrs eindringlichen Warnungen folgt, dann könnte das aus seiner Sicht falsch gedacht sein. Und dann müsste man gleich auch mal bei sich selbst nach treulosem Zynismus schauen.

    Dass ich die beiden obigen Zitate "klasse" finde, deutet vielleicht schon auf entsprechende versteckte Tendenzen hin... Innenschau und Selbstanalyse werden vorerst nicht aus dem Programm genommen werden können.

  • #3

    Ruth Finder (Dienstag, 30 Oktober 2018 12:14)

    Ich habe Clemens Gedanken aufgenommen und weiter gedacht.

    Ein Zyniker ist ein Gegenpart zu einem Heiligen, also zu demjenigen, der seine Kraft positiv zu Gott hinwendet. Bliebe ein Zyniker bei seinen Einsichten, wäre das nicht gut, aber entschlossen und konsequent. Nach Ansicht vieler Weiser müsste er nur umkehren, sprich er müsste seine VORHANDENE/ihn TREIBENDE (d.h in ihm aktive/tätige) negative Kraft richtig einsetzen/positiv umwandeln, und "Was für ein Diener Gottes wäre er dann!"

    Der treulose Zyniker, "der von einem Laden zum anderen verkauft wird" (sich auch so verkaufen lässt), bedeutet, dass jemand mal diese mal jene Einsichten/Ansichten hat; einer, der sich nicht entscheiden kann; einer, der sich durch dieses Hin und Her die Kraft raubt/ein Kraftloser.

    So gesehen, ist ein treuloser Zyniker ein UNENTSCHLOSSENER!

    Es heißt aber, dass die Unentschlossenen die schlimmsten sind.

    Und davon gibt es in der Tat viele.

  • #4

    Simon (Dienstag, 30 Oktober 2018 12:36)

    „Mit einem treulosen Zyniker könnte dann ein Mensch gemeint sein, der Wasser predigt aber selbst Wein trinkt".
    Schöner Spruch und eine treffende Beschreibung eines treulosen Zynikers.

    Oscar Wilde:
    Zynismus sei „die Kunst, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten“.
    Friedrich Theodor Vischerein, deutscher Philosoph:
    „Zynismus bedeutet eine Art des Aufdeckens, mit dem Schmutzigen umzugehen, es mit Bewusstsein so zu traktieren, dass ein gewisser Akzent darauf fällt“.

    Angelehnt an die kynische Philosophie, stehen diese Definitionen von Zynismus dann eher auf einer konstruktiven Ebene. Dies wäre dann wohl ein Mensch der Zynismus als Stilmittel benutzt, ihn aber nicht als Geisteshaltung mit sich herum trägt. Also nicht treulos.
    (Auf die Geschicktheit der Mittel bezogen, gibt es meiner Meinung nach aber bessere Wege.)

    Oder es ist eine rhetorisch, geschickte Rechtfertigung, einfach nur alles mies zu machen. ^^
    So gesehen, verstehe ich dann auch die „Treulosigkeit“ als ein Symptom von Zynismus. Der treulose Zyniker ist nur dem Zynismus treu, vergisst aber, dass der Zynismus als Geisteshaltung selbst dem Zyniker gegenüber treulos ist.

    Zynismus (Elemental) frisst Zyniker - Zyniker frisst seine Mitmenschen (Vitalität).

  • #5

    Jonas (Dienstag, 30 Oktober 2018 14:38)

    Zynismus trägt als inhärenten Mangel meiner Ansicht nach eine deutliche Portion Egoismus in sich. Das Bewusstseinslicht, das von einer Person in zynischer Art und Weise auf etwas "Aufzudeckendes, Schmutziges, nicht der Realität entsprechendes" geworfen wird, ist egovermischt, egogetrübt, ein Teil des Lichtes beinhaltet den eigenen Charakter, der mit der zynischen Bemerkung AP mäßig vermischt ist.
    Das kann man im Gegensatz zum Heiligen sehen, der ohne AP-zentrierte Einfärbung auf Mißstände hinweisen wird. Auch wenn er einmal unter Nutzung der Geschicktheit der Mittel eine zynische Bemerkung fallen lässt, ist diese frei von Egocharakterstrukturen des Zynikers, wie beispielsweise Streben nach Beachtung, Aufmerksamkeit, Anerkennung, etc.
    "Treulos" hätte ich in diesem Zusammenhang als einen Hinweis auf die unstete, wandelbare Struktur der AP gesehen, die - wie gesagt - mit dem Zynismus verquickt ist.

  • #6

    Simon (Dienstag, 06 November 2018 17:18)

    Zyniker:
    "Ein Mensch, der, wenn er Blumen sieht, nach dem Sarg Ausschau hält."
    Henry Louis Mencken