Der Schlüssel

Es war ein lauer Frühsommerabend und Rabbi Jakov ben Katz war gerade in den Gemüsegarten gegangen, um die zarten Setzlinge zu gießen, als Perle nach ihm rief: „Jakov, du hast Besuch. Der junge Schmuel ist hier und möchte dich in einer dringenden Angelegenheit sprechen. Er wartet in der Stube auf dich. Komm herein. Ich bringe euch gleich etwas Tee.“


Jakov stellte die Gießkanne ab und ging ins Haus. Schmuel sprang vom Sofa auf als der Rebbe den Raum betrat und sofort sprudelte es aus ihm heraus: „Rebbe, ihr wisst, dass meine Mutter vor drei Jahren verstorben ist und mein Vater im letzten Herbst Leah geheiratet hat.“ Der Rabbi nickte.
„Sie ist eine gute Frau und kümmerte sich anfangs nur um das Wohl unseres Vaters. Aber mehr und mehr veränderte sie im Haus und nun, stellt euch vor, will sie den Rosengarten meiner Mutter anders gestalten. Sie ehrt ihr Andenken nicht und will ihren Platz einnehmen.“ empörte sich Schmuel verzweifelt.


Rabbi Jakov sah Schmuel lange schweigend an und forderte ihn dann auf, gemeinsam mit ihm das Haus zu verlassen. Schmuel folgte ihm überrascht und so gingen sie an Perle vorbei, die ihnen amüsiert, mit dem Teetablett in der Hand, nachsah. Sie kannte ihren Jakov und wusste, dass er manchmal zu ungewöhnlichen Methoden griff, um seinen Schäfchen etwas deutlich zu machen. Als nun beide vor der Haustür standen, bat Rabbi Jakov: „Schmuel, bitte nimm deinen Haustürschlüssel und schließe meine Haustür auf.“


Verwundert sah ihn Schmuel an und sagte unsicher: „Aber Rebbe, ihr wisst doch genau, dass mein Schlüssel nicht in eurer Schloss passen und somit eure Haustür öffnen kann.“


Rabbi Jakov klopfte Schmuel auf die Schulter und sagte lächelnd: „Und genau so wenig kann ein Mensch des anderen Menschen Platz einnehmen.“


(Ruth Gabriel)

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