Höregott

Höre Gott!
Dein Schicksal ist Gott.

Von den Menschen,
für du lebst und liebst,
magst du verkannt und verstoßen werden.

Von dort,
wo du vielen Labsal reicht
und den Himmel in's ärmste Leben bringst,
magst du losgerissen werden.

In alledem
hilft er dir gewiss.
Er - dein Vater - Gott.

Lässt dich verfolgen und drängen
und in die Einsamkeit zwingen,
in das Heiligtum seines Willens,
wo in Leid und Glück nichts anderes gilt,
als sein "Werde!"

Auf das du wirst.
Höre Gott!
Dein Schicksal ist Gott.

Flammend leuchtet sein Auge über dir,
über deinem Hause,
denn du gehörst ihm.

So gehöre Gott.

Und wer sich dir naht,
soll versuchen, dem Auge Gottes standzuhalten.
Voller Streben nach seinem alleinigen, heiligen Willen,
der dich gewollt hat.

Sieh dir die Menschen an.
Spiegeln sie das Sein Gottes?
Hören sie auf Gott?

Du aber höre auf Gott.
Nur Gott.

(Joseph Wittig in "Höregott, ein Buch vom Geiste und vom Glauben", 1929)

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Kommentare: 2
  • #1

    Clemens (Donnerstag, 03 Mai 2018 14:25)

    Das Buch von Wittig fiel mir in den späten 80ern auf dem Pfad in die Hände. Ich hatte ziemliche Schwierigkeiten mit der Lektüre. Nur dieses Gedicht schien mir damals eine recht gute Missionsbeschreibung zu sein (hab's mir jedenfalls notiert)...

    Heute weiß ich zumindest, dass Wittig ein katholischer Theologe war, der wegen seiner Reformideen exkommuniziert wurde und später auch mit Martin Buber zusammenarbeitete. Sooo verkehrt wird sein Buch vielleicht nicht gewesen sein. Ich habe es jedenfalls nicht mehr, um das zu überprüfen. Trotzdem danke, Joseph. ^^

  • #2

    Clemens (Donnerstag, 03 Mai 2018 14:35)

    In der Wikipedia ist über Wittig folgendes zu lesen:

    "Mit dem Aufsatz Die Erlösten, der 1922 in der Kulturzeitschrift Hochland erschien, begannen die Schwierigkeiten mit der Amtskirche. In dem Artikel stellte Wittig der Theologie, deren Aussagen zur Erlösung oft schwer verständlich waren, in erzählerischer Form die von Alltagserfahrungen getragenen Ängste und Erlösungswünsche der einfachen Christen gegenüber. Er griff z. B. die katholische Beichtordnung an und forderte „mehr Seligkeit, mehr Gottesfreude“. Noch im gleichen Jahr entband ihn der Breslauer Erzbischof und Kardinal Bertram von der Leitung der Marianischen Kongregation, und es wurde ihm nahegelegt, das Amt des Universitätspredigers aufzugeben. 1925 wurden mehrere seiner wissenschaftlichen Schriften, in denen er sich für Reformen in der katholischen Kirche eingesetzt hatte, auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Die Auseinandersetzungen mit der Amtskirche hatten die Beurlaubung an der Universität und schließlich im Jahre 1926 die Exkommunikation zur Folge."

    Seligkeit und Gottesfreude zu fordern - das war damals (wie heute?) nicht ohne.